SCHAU MAL INS MUSEUM
Wen malte Cranach 1524? Detektivarbeit im Museum
Wer ist der Mann mit dem nachdenklichen Blick? Das kleine Ölgemälde ist kaum größer als ein Din A4 Blatt. Unheimlich kostbar wirkt es. Gemalt wurde das Bild im Jahr 1524, das steht in der Ecke oben rechts (1). Und darunter ist ganz klein eine geflügelte Schlange zu sehen. Das ist die Künstlersignatur von Lucas Cranach dem Älteren. Der war einer der gefragtesten Maler seiner Zeit und hatte eine große Werkstatt in Wittenberg.
Einen engen Bildausschnitt hat Cranach für das Brustbildnis des edel gekleideten Mannes gewählt. Ob er wohl so 40 Jahre alt ist? Um einen Adeligen und zwar einen sehr bedeutenden muss es sich handeln. Denn an seiner Halskette trägt er das Ehrenzeichen des Ordens vom Goldenen Vlies (2). Das war der wichtigste europäische Ritterorden! Er wurde 1430 vom Herzog von Burgund gegründet. Später ging er an das Haus Habsburg und damit an den Kaiser des Heiligen Römischen Reichs über – von ihm also wurde der Mann auf Cranachs Gemälde ausgezeichnet.
Lange Zeit dachte man, dass das Bildnis Herzog Georg von Sachsen, einen mächtigen Gegner der Reformation, zeigt. Denn das besagt die Inschrift, die nachträglich in der oberen linken Ecke hinzugefügt wurde: „Hertzog Georg von Sachsen. Obijt 1539“ (Herzog Georg von Sachsen, gestorben 1539 )(3). Nun, wenns da doch so steht?! Aber als das Gemälde 1524 entstand, war Georg noch gar nicht Ritter im Orden vom Goldenen Vließ – das wurde er erst sieben Jahre später. Und anders als der Mann im Bild trug er 1524 auch noch keinen Bart.
Wer also ist der Mann, den Cranach mit nachdenklichem Blick wiedergibt, in warmen leuchtenden Farbtönen vor blauem Hintergrund? Um das herauszufinden, hat der ehemalige Direktor der Kunstsammlungen, Klaus Weschenfelder, Detektivarbeit geleistet: Als das Bild entstand, hatte der Orden vom Goldenen Vlies 51 Mitglieder. Weschenfelder fahndete nach einem Ordensmitglied, das zum Entstehungszeitpunkt des Gemäldes zwischen 30 und 50 Jahre alt war, das einen Bart trug und für das ein Bezug zur Cranachwerkstatt denkbar ist. Sein schlüssiges Ergebnis lautete: König Christian II. von Dänemark (1481–1559)! Christian II. herrschte über die drei skandinavischen Königreiche Dänemark, Schweden und Norwegen, wurde aber 1522 von seinen Untertanen vom Thron und aus dem Land vertrieben. 1523 kam Christian II. nach Wittenberg, um Martin Luther zu besuchen. Damals wohnte er angeblich bei Cranach; jedenfalls ließ er sich mehrfach von ihm malen. Das Coburger Bild sieht nicht genauso aus wie die übrigen bekannten Porträts des dänischen Königs, aber die Haar- und Barttracht und speziell der Schnitt der Augen stimmen überein. Das Gemälde war wohl für Christian selbst oder einen engen Freund bestimmt, denn Cranach verzichtete hier auf das königliche Wappen. Allerdings wissen wir darüber nichts Konkretes – der Öffentlichkeit wurde das Gemälde überhaupt erst 1943 bekannt, als es als Diebesgut beschlagnahmt wurde. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ob es wirklich der dänische König auf dem Gemälde ist? Das soll nun auch in Dänemark selbst diskutiert werden: Vom 1. April bis 31. Oktober 2020 wird das Bild in Aarhus im ARoS Art museum in der Ausstellung „Mythologies – The beginning and end of civilizations“ zu sehen sein. Wer es vorher noch in Coburg unter die Lupe nehmen möchte, der kann das bis zum 15. März tun.
Niels Fleck
Dieser Beitrag erschien im Februar 2020 unter der Rubrik “Schau mal ins Museum” im:
Zum Vergleich: Ein Holzschnitt von Lucas Cranach mit einer Porträtdarstellung Christians II. von Dänemark aus dem Jahr 1523, Staatliche Graphische Sammlung München (Inv. 51979 D)