SCHAU MAL INS MUSEUM

Besuch bei einem Topmodel

„Oh Mann – wie lang dauert das denn hier noch?“ Heimlich lässt Fortunata ihren Blick zur Kirchturmuhr wandern. Nicht, dass ihr das lange Modellstehen etwas ausmacht. Hat man einmal die richtige Position gefunden, kann man wunderbar seinen Gedanken nachhängen. Und was bei den vielen Porträtsitzungen entsteht, ist wirklich spannend. Jeder Künstler scheint sie anders zu sehen – da ist kein Bild wie das andere. Aber in dem Kleid, das dieser deutsche Maler heute für sie ausgewählt hat, wird es langsam heiß. Wenn er mit seinen Skizzen nicht bald fertig ist, bleibt vor der Rückfahrt wieder keine Zeit für einen kurzen Besuch bei ihrer Cousine. „Jetzt schaut er schon wieder so kritisch. Ich würde ihm ja gerne mal über die Schulter sehen. Ob ich ihn mal ansprechen darf? Wie heißt er noch – Signore Müller?“

Was die junge Frau namens Fortunata Segadori sich wohl wirklich dachte, als der Coburger Künstler Friedrich Müller sie vor knapp 200 Jahren malte? Der vollkommen ruhige Gesichtsausdruck, den sie auf dem Bild hat, lässt ganz unterschiedliche Vorstellungen zu. Wo fand die Porträtsitzung wohl statt? Wirklich in einer italienischen Küstenlandschaft, die man im Hintergrund sieht – oder eher in Rom, wo beide wohnten? Das Bildnis ist jedenfalls von wunderbarer Schönheit, und Fortunata war sicher mehr als zufrieden damit. Wenn sie das vollendete Leinwandgemälde überhaupt zu sehen bekam. Denn Müller reiste schon bald darauf zurück nach Deutschland, wo das Porträt großes Aufsehen erregte.

Fortunata Segadori war ein berühmtes Künstlermodell, also so etwas wie ein Topmodel ihrer Zeit. Das Modellsitzen hatte sich gerade zu einem richtigen Beruf entwickelt, und zwar am stärksten ausgeprägt in Italien. Viele nordeuropäische Künstler reisten seit dem 18. Jahrhundert in großer Zahl über die Alpen. Eigentlich wollten sie in Italien die Kunstwerke der Antike studieren. Mit ihrem Blick für das Schöne entdeckten sie aber bald auch die ländliche Bevölkerung mit ihren malerischen Trachten. So entstand das Bildmotiv der „schönen Italienerin“. Um manche schöne Italienerin entwickelte sich ein richtiger Kult. Ganz ähnlich wie heute bei den Topmodels.

Mit seinem Bildnis von Fortunata hatte Friedrich Müller ein Meisterwerk geschaffen, das in Deutschland gleich mehrfach kopiert wurde. Es wurde so abgemalt, dass die Kopien täuschend echt aussehen sollten. Das Original gelangte nach Weimar, eine Kopie kam nach Coburg als Geschenk für den damaligen Herzog. Aber die Geschichte des Bildes und sein Maler gerieten in Vergessenheit. Als vor gut zwanzig Jahren in Köln eine weitere Kopie auftauchte, dachte man zunächst sogar, dass es sich um ein Gemälde des sehr viel bekannteren Künstlers Wilhelm Schadow handele. Um das Coburger Bild entstand gar die Legende, es handele sich bei der schönen Frau um die Geliebte des Prinzen Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha.

Die drei Fortunata-Gemälde aus Weimar, Coburg und Köln werden jetzt in einer kleinen Ausstellung in den Kunstsammlungen der Veste Coburg gezeigt. Bevor die Bilder aufgehängt wurden, haben wir sie genau untersucht. Wie man anhand spezieller Aufnahmen das Original von den Kopien unterscheiden und auch nachweisen kann, dass die Kopien von jeweils unterschiedlichen Malern stammen, das erfährst Du in der Ausstellung. Hier hängen auch besondere Bilder von Wilhelm Schadow. Eins davon hat Müller auf Porzellan kopiert. Das Kopieren gelungener Gemälde war im 19. Jahrhundert sehr beliebt, und manche Kopie sollte sogar schöner geraten als das Original. Also: Schau genau hin!

Niels Fleck

Die Ausstellung „Schön wie ein Schadow. Das Porträt der Fortunata von Friedrich Müller“ ist bis 22. August 2021 in den Kunstsammlungen der Veste Coburg zu besichtigen.

Eine mögliche Öffnung des Museums hängt aktuell von den Inzidenzwerten ab.

Dieser Beitrag erschien im April 2021 unter der Rubrik „Schau mal ins Museum“ im:

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